Im Gespräch mit dem Komponisten Steffen Schleiermacher

"Eine Verbeugung vor dem großen Meister"

Beginn der Partitur "Telemanns Phantasien" von Steffen Schleiermacher

Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Kompositionen Telemanns?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich habe als Kind im Stadtsingechor Halle gesungen, vielleicht haben wir neben Händel und Bach auch einmal was von Telemann gesungen. Aber eine konkrete Erinnerung habe ich nicht.
Die erste bewusste (Wieder?)-Begegnung fand erst vor ein paar Jahren statt, als ich eine CD mit der Brockes-Passion in die Hände bekam und dieser mir völlig unbekannten Musik fasziniert lauschte. Und ich erinnere mich – ebenfalls ein CD-Erlebnis – an eine fulminante und mich begeisternde Einspielung der Tafelmusiken. Seitdem ist für mich Telemann nicht mehr die berühmte „no go area“. Es ist mir immer mehr unbegreiflich, wieso dieser großartige Komponist so einen schlechten Ruf hat.

Für das Bachfest 2016 realisierten Sie mit „Nach Markus. Passion“ eine Uraufführung, in der Sie sich mit Bachs fragmentarischer Markus-Passion auseinander setzten. Das war nicht die einzige kompositorische Begegnung mit Bach. Und auch Namen wie Gesualdo di Venosa, Mozart oder Beethoven tauchen in Ihren Werktiteln auf. Was reizt Sie an der musikalischen Auseinandersetzung mit Alter Musik oder eben auch Klassik?
Ich höre der Musik der großen Meister der Vergangenheit – der jüngeren oder auch älteren – immer wieder gebannt zu. Es ist eben immer die Frage, wie sich dieses „Gebanntsein“ dann auswirkt: Erstarrt man oder fühlt man sich angeregt. Bei mir ist es in der Regel letzteres. Wobei ich ja nicht von aller Musik der Vergangenheit gebannt bin, manches auch der großen Meister bleibt mir auch fremd.

War Telemann für Sie eine Neuentdeckung?
Ich glaube eher, es bleibt eine Neuentdeckung. Ich kenne noch viel zu wenig.

Sie haben einmal gesagt, dass Neue Musik die schöne Eigenschaft habe, dass man unverstellt über sie diskutieren darf und soll, was bei 100 oder 200 Jahre alten „heiligen“ Meisterwerken gar nicht mehr möglich sei. Nun ist auch Telemann, von dem ein Großteil seiner Werke noch gar nicht erschlossen ist, dabei, erst entdeckt zu werden. Erleichtert Ihnen das den Umgang mit seiner Musik im Vergleich beispielsweise zu Mozart?
Mozart ist einer der großen Meister, die mir letztendlich fremd bleiben. Oder vielleicht bin ich bei ihm gebannt im Sinne der Erstarrung?

„Telemanns Phantasien“ heißt Ihre Uraufführung, die während das Bachfestes 2017 erklingt. Von welcher/n Fantasie/n Telemanns haben Sie sich anregen lassen (die auch im Programm erklingt?), worauf können die Konzertbesucher gespannt sein?
Die Anregung ging nicht von einer konkreten Fantasie aus. Mein Stück ist also keine Schleiermacher-Fantasie über eine Telemann-Fantasie. Es ist übrigens auch kein Auftrag seitens des Bachfestes, das Stück ist eher ins Programm geschmuggelt. Ich verrate vermutlich kein Geheimnis, wenn ich sage, dass Telemann in der Bach-Stadt Leipzig keine große Lobby hat …
Ich habe mir viele (alle?) Fantasien für Violine Solo angehört und auch etwas die Noten studiert, ebenfalls eine Auswahl der Fantasien für Flöte Solo. Und dann nach einem Widerhall des gehörten in mir gesucht. Es ging mir dabei natürlich überhaupt nicht darum, im Stile von Telemann zu komponieren oder ihn irgendwie zu imitieren oder auch zu karikieren. Meine vier kleinen Stücke für Geige und Klavier nehmen bestenfalls ein paar (äußerliche) Gesten auf. Und vielleicht auch seinen Humor. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang mit Vergnügen an Telemanns Gulliver-Suite …
Meine Komposition ist eher eine Verbeugung meinerseits vor dem großen Meister.
Eine musikalische Annäherung an einen großen Komponisten der Vergangenheit ist stets eine schwierige Sache. Will man sich über das plumpe Zitieren erheben und erliegt nicht dem widersinnigen Wunsch, „im Stile von…“ zu komponieren, gelangt man als heutiger Komponist schnell an Grenzen. Die Idee, ästhetische Ideen oder gar handwerkliche Finessen zu übernehmen und ins eigenen Schaffen (und Wollen) zu transplantieren, erweist sich als nicht wirklich tragfähig. Denn dies setzt voraus, dass außermusikalische, zeitlose Ideen zu Grunde liegen, die darauf warten, in einer beliebigen musikalischen Sprache ausgedrückt bzw. verwendet zu werden. Auch der Gedanke, sich ausführlich mit dem Werke zu befassen (spielend, hörend, analysierend), um dann beim eigenen Komponieren subkutane Beeinflussung zu erhoffen, erscheint zumindest angreifbar.
Andererseits ist der Weg, einfach ein bestmögliches Stück zu komponieren und dann dies dem großen Komponisten zu widmen zwar vielleicht die ehrlichste Art der Annäherung, eventuell verschlossen aber wegen der Gefahr von Beliebigkeit.
Wie sich also verhalten?
Machen!

(Interview: Kathrin Singer)

Uraufführung „Telemanns Phantasien“ im Rahmen des Konzertes „Fantasien und Madrigale“ am 12.6.2017 im GRASSI-Museum Leipzig.

Informationen zu Steffen Schleiermacher:
www.schleiermacher-leipzig.de/

 

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