Im Gespräch mit Telemann-Biograf Siegbert Rampe

Telemann - eine dauerhafte Erfolgsgeschichte

Ihre Biografie erschien in der Reihe „Große Komponisten und ihre Zeit“ und gibt Telemann endlich den ihm gebührenden Platz als immerhin wichtigsten deutschen Komponisten des Spätbarock. Im Vergleich mit anderen Komponisten dieser Epoche ist Telemann bis jetzt mit Biografien eher kärglich bedacht worden. Das erste umfassende Kompendium liegt erst jetzt, 250 Jahre nach seinem Tod vor. Woran liegt das? Was verstellt bis heute die Sicht auf die künstlerische Lebensleistung und Bedeutung Telemanns?
Ich denke, dass die Gründe zweifach sind: Zum einen ist es das riesige Gesamtwerk, das von niemandem im Detail zu überblicken und bis heute großenteils unveröffentlicht ist. Im Umgang mit dieser immensen Lebensleistung hatten schon die Zeitgenossen des späten 18. Jahrhunderts nur ein brauchbares Rezept: Sie disqualifizierten Telemann als „Vielschreiber“ und diese Ansicht hat sich im 19. Jahrhundert und bis heute verfestigt. Dabei hat Telemann, bezogen auf sein langes Leben von 86 Jahren, nicht mehr geschrieben als beispielsweise Mozart, bezogen auf sein kurzes. Ein anderes Problem der Rezeption ist das Fehlen von wirklich bedeutender Tastenmusik wie jene von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Mit ihrer Tastenmusik begann die Bach- und Händel-Rezeption des 19. Jahrhunderts. Die eigentliche Telemann-Rezeption setzte jedoch erst im 20. Jahrhundert ein und hinkt jener von Bach und Händel deshalb um mehr als 100 Jahre hinterher. Ich bin mir daher sicher, dass man Telemann in weiteren 100 Jahren anders beurteilen wird als bisher.

Die Sekundärliteratur über Telemann ist übersichtlich. Viele Fachleute nutzen bis heute die drei noch zu Lebzeiten Telemanns erschienenen Autobiografien. Was waren Ihre Quellen für das vorliegende Buch?
Ich habe mich bemüht, außer den Autobiografien sämtliche bisher zugängliche Telemann-Quellen heranzuziehen, also seine Briefe und Werke samt ihrer Quellen, aber auch Aktennotizen und Zeitungsberichte aus seinen Wirkungsorten. Ein wesentliches Problem der Telemann-Rezeption besteht jedoch darin, dass bis heute keine vollständige Übersicht über die Quellen greifbar ist. Diese Situation steht wiederum im Gegensatz zur Bach- und Händel-Forschung und erklärt, weshalb sich bis heute kein anderer Autor ausführlich mit Telemann beschäftigte.

Leben und Werk Telemanns sind bei Ihnen mit dem Titel „ungewöhnliche Biographie“ überschrieben. Was war für Sie vielleicht auch im Vergleich zu anderen Komponisten der Zeit das Besondere?
Das Besondere an Telemanns Leben als Musiker ist, dass er es schon als Kind verstanden hat, so zu komponieren und zu managen, dass die Mehrheit seines Publikums davon entzückt war und entzückt blieb bis ins hohes Alter des Komponisten. Es ist nicht bekannt, dass Telemann als Komponist oder Musikmanager jemals versagte. Genau diesen dauerhaften Erfolg hat man ihm im späten 19. und im 20. Jahrhundert zur Last gelegt, weil man ja als Musiker auch unpopulär handeln oder Niederlagen einstecken müsse. Das ist jedoch ein Problem der musikalischen Rezeptionsgeschichte des 20. Jahrhunderts mit sich selbst: Wer würde beispielsweise Goethe seinen enormen Erfolg als Dichter und Minister schon zu Lebzeiten ankreiden?

Gab es für Sie überraschende Erkenntnisse?
Für mich war überraschend das enorme Arbeitspensum, das Telemann neben seiner Familie bis in späte Jahre fast täglich absolvierte, und zwar in unterschiedlichen Bereichen, beispielsweise beim Komponieren für Hof, Kirche, Oper, Konzert oder für seinen eigenen Verlag. Man kann gewiss behaupten, dass kein anderer Komponist seiner Zeit so viel arbeitete wie Telemann während der meisten Jahre seines Lebens. Er war ein Workaholic, Jahrhunderte, bevor dieses Wort überhaupt erfunden wurde.

Was hätten Sie Telemann, falls eine Zeitreise möglich wäre, gern persönlich gefragt?
Mich hätte interessiert, nach welchen Methoden und Grundsätzen Telemann komponierte. Gewiss hat er mehr als Bach und Händel aus dem Bauch heraus gearbeitet, aber auch er muss Maximen gehabt haben, nach denen er sich richtete.

Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit Telemanns Musik?
Ja, meine erste Begegnung mit Telemann bestand in den Blockflötensonaten, die ich mit 14 Jahren beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ am Cembalo begleiten musste. Daraus entwickelte sich dann ein Konzert nur mit Kammermusik Telemanns, das ich zum Gedenkjahr 1981 mit 17 Jahren organisierte. Damals war der Konzertsaal bis auf den letzten Platz besetzt und es standen hinten noch viele Zuhörer, weil das Publikum wissen wollte, welcher noch weitgehend Unbekannte so bedeutend ist, dass man ihm ein ganzes Konzert widmete. Der Erfolg war durchschlagend wie auch das ganze Telemann-Jahr 1981: Seither galt Telemann im Westen zumindest als ernstzunehmender Kandidat für einen großen Komponisten. Mit der Aufnahme in die Reihe „Große Komponisten und ihre Zeit“ haben wir diese Perspektive zum Telemann-Jahr 2017 endlich eingelöst.

(Interview: Kathrin Singer)
 
Georg Philipp Telemann und seine Zeit
569 Seiten mit 31 Abb. Geb. € 44,80
(Große Komponisten und ihre Zeit)
ISBN 978–3–89007–839–7

www.laaber-verlag.de

 

Buchpräsentation:
Sonntag, 11. Juni, 11.30 Uhr, Bachhaus Eisenach
zur Veranstaltung

 

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