Unterwegs auf den Spuren Telemanns - Interview mit Franns Wilfrid von Promnitz

Franns Wilfrid von Promnitz auf der Telemann-Bank in Żary. Foto: Peter Eisermann

Bei Graf Erdmann III. von Promnitz, war Georg Philipp Telemann im heutigen Żary als Kapellmeister angestellt. Das ist sieben Generationen her. Sie beschäftigen sich viel mit der Geschichte Ihrer weit verzweigten Familie. Wann sind Sie auf Telemann gestoßen?
In der Familie war natürlich bekannt, dass Telemann, der nachmalig berühmte, sich seine Anfangssporen bei uns verdient hatte. Wann zum ersten Male seine Musik auf mich einstürmte, kann ich freilich nicht mehr genau sagen. Im Dresdner Kreuzchor war es ganz sicher nicht! Die Mär vom Vielschreiber, der mehr als Bach und Händel zusammen komponiert haben soll, prägte schon noch sein Bild. Aber dass er sozusagen osteuropäische Musik als erster hoffähig machte, war mir bekannt. Erdmann III., sein Dienstherr, zog ja mit dem zwei Jahre älteren Telemann durch polnische Kneipen in der Plesser Gegend, wenn der Hof seine Residenzpflichten dort in der zweiten Standesherrschaft in Oberschlesien zu erfüllen hatte. Ähnlich stelle ich mir vor, wie einige Jahrzehnte später Goethe mit dem Großherzog Karl August durch das Weimarer Nachtleben zog... Die Hofkapelle, deren Chef Telemann wurde, gab es ja schon länger, und diese hatte auch „Felderfahrung“ mit Erdmann des III. Großvater, Erdmann I. Leopold machen müssen, denn jener nahm seine Musiker auch mit in Richtung Schlachtfeld, um sich in trüben Stunden aufheitern zu lassen. Allerdings fiel er dann in der Schlacht vor Wien 1664. Die Musiker konnten nach Hause fahren...
Ein recht bedeutender Vorgänger Telemanns als promnitzscher Director musices war Wolfgang Caspar Printz, der auch als Musiktheoretiker reüssierte. Ein genaues Gründungsdatum für die Kapelle haben wir leider nicht, jedoch gab es zu Sorau bis 1944 noch ein Orchester. Meine verwandtschaftliche Verbindung zu Graf Erdmann III. besteht nun darin, dass Erdmanns Ururgroßvater Heinrich Anshelm (geb. 1564) der Bruder meines 7fachen Urgroßvaters Georg (geb. 1582) war, die gräfliche Linie mit seinem Sohn Johann Erdmann (gest. 1785) ausstarb, aber die freiherrliche noch blüht, wie es so schön heißt.

Was wissen Sie heute über den Dienstherren Telemanns, welche Rolle spielte Musik am Hofe Promnitz in Sorau, aber auch generell in der Familie?
Erdmann III. Graf v. Promnitz (1683-1745), Minister des Geheimen Cabinetts seines Vetters, des sächsischen Churfürsten und polnischen Königs Friedrich August III., studierte zunächst an der Uni Halle, ging dann mit seinem Bruder, Graf Friedrich, auf Kavaliersreisen nach Frankreich, in die Schweiz und nach Italien, musste aber 1703 die Nachfolge seines verstorbenen Vaters Balthasar Erdmann als Standesherr der größten Herrschaft in der Niederlausitz antreten. Auf der schnellen Rückreise traf er Telemann in Leipzig, woraus dessen Engagement an den promnitzschen Hof resultierte! Da Musik zu den gehobenen Ausstattungen renommierter Höfe gehörte und in Sorau auch bedeutende Orgelbauten existierten – so baute z.B. 1596 der Sorauer Orgelbaumeister Martin Hänsel die erste große Orgel der Niederlausitz, bzw. der bedeutende Hildebrandt jun. 1775 seine letzte Orgel in die Marienkirche – war Musik täglich Brot bei Hofe. Telemann musizierte bei allen Gelegenheiten, wie z.B. bei Erdmanns Heirat mit der wettinischen Prinzessin Anna Maria a.d.H. Sachsen-Weißenfels 1705 in Weißenfels und in Sorau. Dort im Alten Schloss – das barocke Promnitzpalais war zu seiner Zeit erst im Bau – musizierte er im Gemalten Saal, im Japanischen Zimmer, im Tafelzimmer oder im Großen Saal. Die Prachtliebe Erdmanns hing ja auch damit zusammen, dass er – nun als Verwandter des Hochadels – anders repräsentieren musste. Das schrieb die Hofetikette vor, und leider hat Telemann die Fertigstellung des Neuen Schlosses nicht mehr musikalisch begleitet. Da war er schon in Hamburg Director musices. Doch von Sorau/Pless ging er bekanntermaßen erst an den Eisenacher Hof. Dort regierte Erdmanns Schwager. Seine Gattin, Anna Marias älteste Schwester Magdalena Sybilla pflegte die Musik, die sie ja beide auch schon zu Weißenfels erlebt hatten. Erdmann des III. Musikgeschmack soll sich allerdings durch pietistische Einflüsse verändert haben, was auch den Superintendenten und Hofprediger Erdmann Neumeister gen Norden trieb: In Hamburg trafen sich Telemann und Neumeister an St. Jacobi wieder.

Mitglieder in Ihrer Familie sind heute über die ganze Welt verstreut – wie pflegen Sie Kontakte? Gibt es Treffen derer von Promnitz und wie wird das Erbe gepflegt?
Familientreffen gibt es keine. Eine Gruppe amerikanischer Verwandter macht alljährlich eine musikalische von-Promnitz-Tour in Polen, gern auch zusammen mit polnischen Jazzkollegen.

Sie selbst sind Komponist, Dirigent, Organist, Pianist und Sänger und engagieren sich besonders für Alte Musik. Stammen Sie selbst aus einem musikalischen Elternhaus?
Oh ja! Mein Vater spielte Violine und Klavier, Letzteres auch mit Leidenschaft im so genannten U-Sektor. Seine Schwester, meine Tante arbeitete als Organistin. Ein Onkel war Musikwissenschaftler. Es gibt eine kontrabassierende Nichte. Geprägt haben mich später Harald Vogel und das Üben an den alten niederländischen Orgeln.

2017, im Jubiläumsjahr Telemanns, reisen Sie mit Telemannscher Musik im Gepäck durch Deutschland, treten aber auch in Żary auf. Welches sind die Höhepunkte Ihrer Konzertserie in diesem Jahr?
Mein Auftritt in Żary ist der erste dort! Im vorigen Herbst prüfte ich die Orgeln der früheren Marienkirche, wo einst die Hildebrandtorgel stand, der früheren Garnisonskirche und der 100jährigen „Neuen“ Marienkirche zwecks eventuellem Gastspiels mit meinem Telemann-Orgelprogramm. Keine Chance, die Orgeltradition ist total abgerissen, es fehlt an konsequenter Orgelpflege!
Ein Höhepunkt war für mich die (meine) Eröffnung des Telemannjahres im Französischen Dom zu Berlin am 5. Januar. Diese wunderbare, französisch intonierte Euleorgel bringt den Farbenreichtum Telemannscher Musik gut zum Klingen. Auf der diesjährigen Telemanntour sind ja etliche Barockorgeln dabei, u.a. im Dom zu Havelberg, die Zabelorgel in St. Georg, Arneburg, oder während des Leipziger Bachfestes die Scheibeorgel in St. Nikolai zu Zschortau bei Leipzig. Ganz sicher ein Höhepunkt ist zweifellos das Cembalo Recital im Alten Schloss zu Sorau/Żary am Todestag, 25. Juni um 1 Uhr nachts!

Was hat Telemann, was andere Komponisten nicht haben?
Der Telemann hat das, was nur zwischen den Noten steht! Wenn man so in früheren Zeiten Blockflötensonaten mit Basso continuo hörte, so war das ja meist stinklangweilig, brav musiziert wie „es da steht“! Doch die Kunst, das Nicht-da-stehende klanglich zu verdeutlichen, haben ja Kollegen wie Harnoncourt und vor allem der Goebel mit der phantastischen Platte „Bläserkonzerte“ exzellent demonstriert. Das musikalische Chamäleon Telemann, das nicht auf einem einmal erreichten Stand herumritt, sondern – ewig jung – sich Neuestem annäherte, diese Wachheit, die frappiert mich!

(Interview: Kathrin Singer)

Zur Person

Schon der dreijährige Franns-Wilfrid begeisterte sich für ein Instrument: Die Wasserorgel im Hamburger Park „Planten un Blomen“. 13jährig sang er im Dresdner Kreuzchor, und mit 23 Jahren dirigierte er erstmalig an der Sächsischen Staatsoper. Gleichzeitig erweckte er die Arrangements der „Comedian Harmonists“ mit den Dresdner Vocalisten zu neuem Leben. Lehr- und Wanderjahre führten ihn nach Holland an die ältesten europäischen Orgeln. Studiert hatte er Dirigieren, Klavier, Komposition, Orgel, Gesang und Violoncello.
Er gastierte in Paris, Brüssel, Amsterdam, Budapest, Rom und London, kam als Schlossorganist in die Bachstadt Leipzig, spielte als Welteinmaligkeit die „Kunst der Fuge“ um den Grundton „D“ gespiegelt (Trier 2005) und richtete Bachsche Claviergroßwerke für die Orgel ein.
In Dresden grub er den Hofcapellmeister Johann Amadeus Naumann musikalisch wieder aus, gründete die Konzertreihe „Laufen & Lauschen“ im Seifersdorfer Thal und führte alljährlich zu den dortigen Opernfestspielen eine Naumannoper auf. Zum Schutz des Seifersdorfer empfindsamen Landschaftsparkes kam es zur Gründung des Thalvereines und später zur Errichtung der Johann-Amadeus-Naumanngesellschaft.(1991) Zur Erhaltung der bedeutsamen Anlage des Gebietes um das Fasanenschlößchen bei Moritzburg initiierte er den Verein „Muse im Fasanengarten“ (2001) Da das Stammschloss der Promnitzfamilie dringender Erneuerung bedarf (Ersterw. 1185) wurde der Schloss- und Kulturverein Promnitz a.d. Elbe 2014 gegründet.
Das kleinste Bachfest der Welt veranstaltet er auf der Insel Hiddensee: Ein Instrument/ein Spieler. An der Musik-& Theaterhochschule in Rostock lehrt er.
Ensembletätigkeit übt er bei TreCantus, der Gruppe Amfiparnaso und „Chorus Angelicus“ aus. Anderthalb Dutzend CDs dokumentieren seine vielfältige Musikausübung und in über 6000 Konzerten war er bisher live zu erleben.

Familienchronik von Promnitz

https://trecantus.com/
https://www.ars-augusta.org/lausitzer-barockensemble

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